Deutschland (2024)
Die 60. Biennale in Venedig ist ein Fest der Vielfalt. Doch das könnte sich ändern. Denn der von Giorgia Meloni neu berufene Biennale-Präsident ist ein bekennender Rechtspopulist.
Im Jahr 2024 kuratiert der Brasilianer Adriano Pedrosa die beliebteste Kunstausstellung der Welt. Seine Biennale steht unter dem Titel "Fremde überall". Es ist das Gegenprogramm zu Melonis Kulturpolitik.
Wir sind überall fremd - und begegnen überall Fremden. Darin liegt ein großes Potenzial. Die Kunst kann Fremdheit thematisieren und vielleicht sogar auflösen. Adriano Pedrosa ist ein großer Kenner der Kunst des sogenannten Globalen Südens und schon länger als Kurator im Geschäft. Er nutzt die diesjährige Biennale, um blinde Flecken in der Kunstwahrnehmung der westlichen Welt zu beleuchten.
Pedrosa hat viele Künstler eingeladen, alte und junge, bekannte und unbekannte, auch Vertreter von queerer und textiler Kunst. Autodidakten sind ebenso willkommen wie klassisch ausgebildete Künstler. Das subtil zugrunde liegende Thema ist Migration. Im Verlassen der Heimat werden wir Fremde, begegnen Fremden und erweitern unseren Blick. Mit Anna Maria Maiolino und Nil Yalter werden zwei Künstlerinnen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet, die das Thema Migration am eigenen Leib erfahren haben. Kulturwechsel verändern Menschen wie auch die Kunst. Andere Lebensrealitäten werden - zum Beispiel im Werk von Zanele Muholi und Karimah Ashadu - sichtbar. Und wenn es gut geht, dann verlassen wir die Biennale ein bisschen anders, als wir gekommen sind.
Derweil hat Ministerpräsidentin Giorgia Meloni den ihr politisch nahestehenden, rechtspopulistischen Schriftsteller und Journalisten Pietrangelo Buttafuoco zum neuen Präsidenten der Biennale ernannt. Er hat das Recht, den Kurator der nächsten Biennale zu bestimmen. Darin sehen viele Kritikerinnen und Kritiker einen weiteren Versuch der Postfaschistin Meloni, die kulturelle Oberhoheit in Italien zu gewinnen. Sie hat bereits viele Museumsdirektoren und auch die Leitung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Rai ausgetauscht. "aspekte" spricht mit Venezianerinnen und Venezianern darüber, wie Melonis rechte Koalition das Land und die Kultur verändert. Zu den Gesprächspartnern gehören die seit 47 Jahren in Venedig lebende, deutsche Meloni-Kritikerin Susanna Böhme-Kuby und ein begeisterter junger Meloni-Wähler.
Dass rechte Politiker die Regierungsgeschäfte in Italien bestimmen, beunruhigt die auf der Biennale ausstellende, italienische Künstlerin Agnes Questionmark, die mit ihren aufsehenerregenden Performances die Grenzen zwischen Geschlechtern und Spezies neu austariert. Katty Salié fragt, was Meloni für die Rechte von queeren Menschen in Italien bedeutet.
Der Theater-Multisassa Ersan Mondtag ist Teilnehmer des Deutschen Pavillons, zusammen mit der jüdischen Künstlerin Yael Bartana und drei Soundkünstlerinnen und Künstlern, die eine Installation konzipiert haben, die auf der Insel La Certosa zu hören ist. Unter dem Titel "Thresholds" ("Schwellen") lässt Kuratorin ?agla Ilk auf dieser Biennale aus fünf verschiedenen künstlerischen Perspektiven forschen. Ersan Mondtag erzählt die Geschichte seines türkischen Großvaters, der als Gastarbeiter nach Deutschland kam und an den Folgen einer Asbestvergiftung starb. Mondtag fragt, was passieren würde, wenn man vergangene Epochen als Lebensräume wieder aufleben lassen könnte. In einer Dauerinstallation mit Performern im Deutschen Pavillon bringt er Bewegung in starre nationale Konstrukte. Die Videokünstlerin Yael Bartana setzt sich seit Jahren mit nationalen Inszenierungen und auch kritisch mit dem Staat Israel auseinander. Ihr Beitrag im Deutschen Pavillon wird mit großer Neugier erwartet.
Viele der nationalen Pavillons spiegeln die Biennale-Losung "Fremde überall". 88 Nationen konkurrieren um den "Goldenen Löwen" für den besten Pavillon. Wobei der Globale Süden in diesem Jahr besonders präsent sein wird - Benin, Tansania, Osttimur und Äthiopien feiern ihre Venedig-Premiere. Auch viele der großen "Kunstnationen" haben ihre Pavillons marginalisierten Gruppen überlassen. Nie zuvor gab es so viele indigene Künstlerinnen und Künstler, nie zuvor so viele Angehörige einer sozialen Minderheit. Und da die Biennale immer auch eine große Weltdeutungsmaschine ist, werden die großen globalen Konflikte überall präsent sein. Die Ukraine ist gleich doppelt vertreten - im eigenen Pavillon und im Pavillon Polens, der einem ukrainischen Kunstkollektiv überlassen wurde - während Russland schon zum zweiten Mal auf eine Teilnahme verzichtet.
Der Künstler Renzo Martens bespielt den niederländischen Pavillon. Er arbeitet seit über 20 Jahren im Kontext postkolonialer Ungerechtigkeiten. Seine poetische Methode, mithilfe von Kritik und paradoxen Strategien spielerisch auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen, hat schon eine kleine Enklave hervorgebracht, mitten im kongolesischen Urwald. In Lusanga hat er zusammen mit ehemaligen Arbeiterinnen und Arbeitern einer verlassenen Palmölplantage von Unilever eine Art autonomes Kunstdorf aufgebaut. Er hat das atemberaubende Kunststück geschafft, einen Teil vom Kongo zum Ausstellungsort der Niederlande auf der 60. Kunstbiennale von Venedig zu machen. Was das bedeutet, darauf darf man gespannt sein. Postkolonialer Diskurs zum Anfassen.
Besonders brisant könnte der Protest gegen den israelischen Beitrag werden. Schon im Vorfeld hatten über 23.000 Menschen einen Boykottaufruf gegen den vermeintlichen "Genozid-Pavillon" unterschrieben. Und dann - wenigstens ein Zeichen der Hoffnung - gibt es noch den Vatikan, der seinen Pavillon in ein Frauengefängnis verlegt hat. Papst Franziskus will es sich nicht nehmen lassen, als erster Pontifex die Biennale zu besuchen. Die Welt mag aus den Fugen sein, aber wenigstens mit göttlichem Segen.
Im Jahr 2024 kuratiert der Brasilianer Adriano Pedrosa die beliebteste Kunstausstellung der Welt. Seine Biennale steht unter dem Titel "Fremde überall". Es ist das Gegenprogramm zu Melonis Kulturpolitik.
Wir sind überall fremd - und begegnen überall Fremden. Darin liegt ein großes Potenzial. Die Kunst kann Fremdheit thematisieren und vielleicht sogar auflösen. Adriano Pedrosa ist ein großer Kenner der Kunst des sogenannten Globalen Südens und schon länger als Kurator im Geschäft. Er nutzt die diesjährige Biennale, um blinde Flecken in der Kunstwahrnehmung der westlichen Welt zu beleuchten.
Pedrosa hat viele Künstler eingeladen, alte und junge, bekannte und unbekannte, auch Vertreter von queerer und textiler Kunst. Autodidakten sind ebenso willkommen wie klassisch ausgebildete Künstler. Das subtil zugrunde liegende Thema ist Migration. Im Verlassen der Heimat werden wir Fremde, begegnen Fremden und erweitern unseren Blick. Mit Anna Maria Maiolino und Nil Yalter werden zwei Künstlerinnen für ihr Lebenswerk ausgezeichnet, die das Thema Migration am eigenen Leib erfahren haben. Kulturwechsel verändern Menschen wie auch die Kunst. Andere Lebensrealitäten werden - zum Beispiel im Werk von Zanele Muholi und Karimah Ashadu - sichtbar. Und wenn es gut geht, dann verlassen wir die Biennale ein bisschen anders, als wir gekommen sind.
Derweil hat Ministerpräsidentin Giorgia Meloni den ihr politisch nahestehenden, rechtspopulistischen Schriftsteller und Journalisten Pietrangelo Buttafuoco zum neuen Präsidenten der Biennale ernannt. Er hat das Recht, den Kurator der nächsten Biennale zu bestimmen. Darin sehen viele Kritikerinnen und Kritiker einen weiteren Versuch der Postfaschistin Meloni, die kulturelle Oberhoheit in Italien zu gewinnen. Sie hat bereits viele Museumsdirektoren und auch die Leitung des öffentlich-rechtlichen Fernsehens Rai ausgetauscht. "aspekte" spricht mit Venezianerinnen und Venezianern darüber, wie Melonis rechte Koalition das Land und die Kultur verändert. Zu den Gesprächspartnern gehören die seit 47 Jahren in Venedig lebende, deutsche Meloni-Kritikerin Susanna Böhme-Kuby und ein begeisterter junger Meloni-Wähler.
Dass rechte Politiker die Regierungsgeschäfte in Italien bestimmen, beunruhigt die auf der Biennale ausstellende, italienische Künstlerin Agnes Questionmark, die mit ihren aufsehenerregenden Performances die Grenzen zwischen Geschlechtern und Spezies neu austariert. Katty Salié fragt, was Meloni für die Rechte von queeren Menschen in Italien bedeutet.
Der Theater-Multisassa Ersan Mondtag ist Teilnehmer des Deutschen Pavillons, zusammen mit der jüdischen Künstlerin Yael Bartana und drei Soundkünstlerinnen und Künstlern, die eine Installation konzipiert haben, die auf der Insel La Certosa zu hören ist. Unter dem Titel "Thresholds" ("Schwellen") lässt Kuratorin ?agla Ilk auf dieser Biennale aus fünf verschiedenen künstlerischen Perspektiven forschen. Ersan Mondtag erzählt die Geschichte seines türkischen Großvaters, der als Gastarbeiter nach Deutschland kam und an den Folgen einer Asbestvergiftung starb. Mondtag fragt, was passieren würde, wenn man vergangene Epochen als Lebensräume wieder aufleben lassen könnte. In einer Dauerinstallation mit Performern im Deutschen Pavillon bringt er Bewegung in starre nationale Konstrukte. Die Videokünstlerin Yael Bartana setzt sich seit Jahren mit nationalen Inszenierungen und auch kritisch mit dem Staat Israel auseinander. Ihr Beitrag im Deutschen Pavillon wird mit großer Neugier erwartet.
Viele der nationalen Pavillons spiegeln die Biennale-Losung "Fremde überall". 88 Nationen konkurrieren um den "Goldenen Löwen" für den besten Pavillon. Wobei der Globale Süden in diesem Jahr besonders präsent sein wird - Benin, Tansania, Osttimur und Äthiopien feiern ihre Venedig-Premiere. Auch viele der großen "Kunstnationen" haben ihre Pavillons marginalisierten Gruppen überlassen. Nie zuvor gab es so viele indigene Künstlerinnen und Künstler, nie zuvor so viele Angehörige einer sozialen Minderheit. Und da die Biennale immer auch eine große Weltdeutungsmaschine ist, werden die großen globalen Konflikte überall präsent sein. Die Ukraine ist gleich doppelt vertreten - im eigenen Pavillon und im Pavillon Polens, der einem ukrainischen Kunstkollektiv überlassen wurde - während Russland schon zum zweiten Mal auf eine Teilnahme verzichtet.
Der Künstler Renzo Martens bespielt den niederländischen Pavillon. Er arbeitet seit über 20 Jahren im Kontext postkolonialer Ungerechtigkeiten. Seine poetische Methode, mithilfe von Kritik und paradoxen Strategien spielerisch auf Ungerechtigkeiten hinzuweisen, hat schon eine kleine Enklave hervorgebracht, mitten im kongolesischen Urwald. In Lusanga hat er zusammen mit ehemaligen Arbeiterinnen und Arbeitern einer verlassenen Palmölplantage von Unilever eine Art autonomes Kunstdorf aufgebaut. Er hat das atemberaubende Kunststück geschafft, einen Teil vom Kongo zum Ausstellungsort der Niederlande auf der 60. Kunstbiennale von Venedig zu machen. Was das bedeutet, darauf darf man gespannt sein. Postkolonialer Diskurs zum Anfassen.
Besonders brisant könnte der Protest gegen den israelischen Beitrag werden. Schon im Vorfeld hatten über 23.000 Menschen einen Boykottaufruf gegen den vermeintlichen "Genozid-Pavillon" unterschrieben. Und dann - wenigstens ein Zeichen der Hoffnung - gibt es noch den Vatikan, der seinen Pavillon in ein Frauengefängnis verlegt hat. Papst Franziskus will es sich nicht nehmen lassen, als erster Pontifex die Biennale zu besuchen. Die Welt mag aus den Fugen sein, aber wenigstens mit göttlichem Segen.
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