Kulturplatz, Von Roman bis Film: Wie weit kann Fiktion gehen?

Sendezeit: 09:05 - 09:35, 02.03.2024
Genre: Magazin
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  • Moderator: Eva Wannenmacher
Schweiz (2024) Bestsellerautor Daniel Kehlmann stellt den Regisseur G.W. Pabst in den Dunstkreis der Nazis, was dessen Nachfahren erzürnt.
Während Schauspielerin Sandra Hüller im neuen Holocaust-Film "Zone Of Interest" eine deutsche Idylle lebt, jenseits der Mauer des Horrors von Auschwitz. Fiktion unbegrenzt?
Daniel Kehlmann schreibt Bestseller. Seine Methode ist immer dieselbe: Der Protagonist seiner Geschichte ist ein Mensch, der tatsächlich in der Vergangenheit lebte, der meist vielen Menschen bekannt ist. "Lichtspiel", das bereits im Herbst erschienene neueste Werk wirft weiterhin Wellen. Fiktion steht für Kehlmann über der Wahrheit, so dichtet er dem großen Regisseur des deutschen Stummfilms, G.W. Pabst und dessen Sohn, Nazi-Sympathien an, was die Nachfahren in Österreich und der Schweiz erzürnt. Sie wehren sich dagegen, dass ihre Familiengeschichte "überschrieben" wird, und verlangen vom Verlag eine Erwähnung im Buch, dass es sich bei "Lichtspiel" in weiten Teilen um Fiktion handle.
Wie kann, beziehungsweise darf man den Holocaust erzählen? Ist das Unfassbare darstellbar? Diese Fragen beschäftigen nicht zuletzt seit Spielbergs Drama "Schindlers Liste". Nun erhält die Holocaust-Darstellung im Film eine neue Dimension: "Zone Of Interest" heißt das zugleich faszinierende und verstörende Werk von Jonathan Glazer, das diese Woche in die Kinos kommt. Die Banalität des Schreckens, hier dargestellt durch den idyllischen Familienalltag der Familie des Lagerleiters Rudolph Höss, während der Horror und die Gräueltaten des nur durch eine Mauer getrennten Konzentrationslagers Auschwitz fast ausschließlich auf der Tonspur zu hören sind. Nur sehr selten deuten nächtliche Aufnahmen von rauchenden Schornsteinen oder Infrarotaufnahmen einer Wiederstandkämpferin auch visuell auf den Völkermord hin. In der Hauptrolle glänzt einmal mehr Oscar-Anwärterin Sandra Hüller.
Der Schweizer Dokumentarfilm "Die Anhörung" der Regisseurin Lisa Gerig stellt Befragungen im Asylwesen, die Essenz jedes Asylverfahrens, nach. Mit Menschen, die genau darüber Bescheid wissen, weil sie dabei waren. Entweder auf der Seite, die befragt, oder auf jener, die antwortet. Der Film zeigt hautnah, wie solche Anhörungen ablaufen - und was es für die Asylsuchenden heißt, wenn anhand von ihren Erzählungen über ihr Leben entschieden wird. Wer hat die besten Chancen auf Asyl? Sind es die, die ihre Lebensgeschichten am eindrücklichsten erzählen können? Der Film gewann kürzlich den Hauptpreis an den Solothurner Filmtagen.

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